Warum sagt einem das keiner?

Dasletztedrittel/ Dezember 18, 2023/ Das letzte Drittel/ 0Kommentare

Wir Männer altern nicht, wir reifen. Böse Zungen würden sagen, manche wie guter Whisky – so wie ich natürlich – die meisten eher wie Camembert. Werden zwar innen weicher, aber zunehmend stinkig. Frage ich mein Umfeld, würden sie die Metapher mit dem Camembert und mir nicht ganz spontan abstreiten. Was ist denn hier los?

Eigentlich alles gut, alles tutti, va bene! Aufgabe ist, in Würde altern. So ab 55 geht es, lauscht man den Legenden der Alten, zwar langsam bergab, aber doch kontinuierlich, fast unmerklich. So ganz nachvollziehen kann ich das nicht. Es gibt den netten Spruch: „jeden 60-jährigen Mann schaut ein 20-jähriger aus dem Spiegel an, der nicht weiss, was geschehen ist“. Also ich sehe nur einen fast 60-jährigen, der nicht weiss, was in den letzten 5 Jahren geschehen ist. Zwischen 55 und 60 ist ein gewaltiger Unterschied. Unmerklich, wie die Legenden sagen, war es nun wirklich nicht.

Mit dieser Selbsterkenntnis stehe ich übrigens nicht ganz alleine, ich höre es recht häufig, ob zu fortgeschrittener Stunde beim Grillabend auf dem Campingplatz oder von Kollegen oder Kolleginnen zwischen Tür und Angel . Manche drücken es so aus: „man ist im Kopf nicht mehr so elastisch“. Oder: „ich komme nicht so schnell davon los, halte sehr lange an etwas fest“. „Mir hängt es nach“ oder „früher hat mir das nichts ausgemacht“. Kommt das jemandem bekannt vor?

Ich würde es mit Anpassungsproblemen beschreiben, was ein bisschen nach psychischer Störung klingt. Nur ein bisschen. Symptome sind Gereiztheit bei Änderung der Umgebung, sogar im Urlaub ( sorry für Hamburg, liebste beste Lebensgefährtin von Allen). Oder Wut und/ oder Langeweile in Meetings und Gesprächen, wenn sich die Gespräche im Kreis drehen und sich die Worte wieder und wieder wiederholen. Und ich mich völlig falsch fühle. Aber dann, wenn ich mal nichts so richtig verstanden habe, wiederholts natürlich keiner. Auch wieder falsch, dann Gereiztheit, diesmal auf mich selbst, weil ich wohl nicht richtig zugehört habe. So werden wechselnde Umgebungen und wechselnder Gesprächspartner und auch fluktuierende Anfangszeiten für was auch immer etwas schwierig. Schwierig wird auch, sich im Laufe des Tages verschiedenen Aufgaben zu stellen: morgens Telefondienst, mittags Aussendienst und nachmittags noch schnell Abrechnung machen. Das geht auch mit 60, kostet nur mehr Körner als noch mit 55. Umstellung und Anpassung fallen schwerer. Einen echten, nachvollziehbaren, rationellen Grund dafür kann ich nicht festhalten und bei anderen meines Alters treffe ich auch auf Ratlosigkeit.

Wie dem auch sei, Junge. Auch, wenn es Werbung, die Vorgänger, die Bosse, die Medien, die Eltern, wer auch immer einreden wollen (für die Älteren sind 60 noch jung, vergiss das in Deiner Betrachtung nicht!): verabschiede Dich davon, dass 60 das neue 40 ist. 55 war´s vielleicht noch, 60 nicht mehr. Auch wenn Du körperlich fitter denn je bist, so viel wiegst wie zuletzt mit 19, Du ins Fitnessstudio gehst und mit dem Rennrad die Berge hochstürmst: die einzigen Zellen Deines Körpers, die jünger als 60 sind, sind die Leberzellen und die Hautzellen, der Rest ist genau 59 Jahre und ein paar Tage alt. Und selbst die Leber und die Haut brauchen jetzt länger als früher, soll also kein Freibrief zum Saufen. Wir werden eh´ früher müde.

Und Deine Festplatte in der Birne vergisst nix. Ebensowenig wie Dein Körper. Alle Erinnerungen, Verletzungen, Traumata, psychisch oder physisch abgespeichert – ja, es gibt auch ein Körprgedächtnis- sind noch da und gucken immer im unpassendsten Moment und die Ecke, um nur mal kurz Hallo zu sagen. Und ihre Bedenken zu äussern. Ja, denn das evolutionäre Hirn speichert die Sachen, die nicht geklappt haben, gerne schnell abrufbar ab. Hatte ja mal Vorteile, die Pilze, die fast die halbe Sippe umgebracht haben, schnell wieder zu erkennen. Aus Fehlern lernen. Dass diese Fähigkeit in Gruppen und Gesellschaften nicht so wirklich funktioniert, ist ein eigenes Kapitel wert. Macht sich jetzt beim fast 60 jährigen dadurch bemerkbar, dass er sich Zuvertrauen in seine Kenntnisse und Fähigkeiten, aber auch die Schönheit der Umgebung, die guten Dinge halt, aktiv bewusst machen muss, die Bedenken und Unangenehmes aber einfach da sind und manchmal……oft….die Regie meines Verhaltens übernehmen.

Hamburg! Jetzt wollt Ihr sicher wissen, was abging. Wir waren ein Woche an der Ostsee, geniales Wetter, leerer Strand, viel frische Luft, Strandkorbgespräche ( siehe Einfachmalgut ). Dann sind wir nach Hamburg. Nettes Hotel, gute Lage in der Speicherstadt, Karten für die Elphi, immer noch geniales Wetter, viele Menschen, viel Verkehr, überall geschlossene Restaurants, Weizenbier für 7 Euro……….und die Abwärtspirale nahm ihren Gang. Das unangenehme Gefühl in Menschenmengen, das gefühlte Verhalten anderer Menschen, die negativen Gedanken über zu viel Verkehr, „schräge“ Musik, die atonal und disharmonisch direkt ins Hirn ging……….übernahmen die Macht. Ratzfatz aus die Maus, alles versank im schwarzen Nebel. Aus der Nummer fand ich nicht mehr raus. Hamburg ist aber auch hässlich…..so was von…….sorry, liebe Hamburger.

Anderes Beispiel: ich war in der Eingliederungsphase keine halbe Stunde im Büro und schon ging es wieder darum, krankheitsbedingt 3 verschiedene Tätigkeiten ausführen zu wollen/ müssen. Wenn ich es gemäss meiner eigenen Ansprüche an meine Tätigkeit hätte machen wollen. Das wäre nicht gut gegangen. Aber so elastisch bin ich nicht mehr.

Ich rede generell nicht von den inneren Dämonen und heftigen Traumata. Die brauchen professionelle Bearbeitung. Eher alltägliche, kumulierte Gefühle, Impressionen, Gedanken, die Hemmschuhe. Das Internet vergisst nichts, und das hatte nur 30 Jahre, wir haben den doppelten Zeitraum zum Nichtvergessen.

Aber das, was ich mir unbedingt merken wollte, das vergesse ich sofort. Manchmal ist es wie eine Verschiebung der Prioritäten, das Wichtige flattert davon, Nebensächlichkeiten bleiben. Manchmal ist es das Gefühl, die Festplatte kann nichts mehr aufnehmen, bevor nicht irgendwas ausgelagert wird. So wie in das Denkarium von Dumbledore, einfach mal Platz für neue Gedanken machen.

Das alles ist nicht schlimm, deutet auch weder auf Denkfaulheit noch beginnende Demenz hin. Ist nur schwer zu akzepieren, deshalb werde ich manchmal stinkig wie der oben erwähnte Camembert. Aber warum sagt einem das Keiner, schreibt keiner darüber, postet nicht darüber? Wahrscheinlich vergessen 🙂 .

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