Alles Barbie oder was? Gedanken zum neuen Jahr

Dasletztedrittel/ Dezember 30, 2023/ Das letzte Drittel/ 0Kommentare

2023 ist fast rum, was blieb besonders hängen? Männer, wir müssen mal reden. Was ist denn los in dieser Gesellschaft? Es wird langsam irgendwie peinlich, zu den Männern der Generation Babyboomer zu gehören. Wie ich darauf komme? Nun ja, AfD, starker Mann, Böllerverbot, Instagram, Barbie, was halt gerade in Nachrichten, Jahresrückblicken, Social Media und Gesprächen so rumgeistert. Zu allem Überfluss habe ich den Instagram Account eines Mannes sehen müssen, der – wie dereinst Cäsar – in der dritten Person über sich berichtet. Im Jahr 2023 und nicht auf Latein! „ER“ ist allerdings niemand, dem nach militärischen und gesellschaftlichen Erfolgen eine schier unendliche Machtfülle zu Kopf gestiegen ist, „ER“ war eher einer der Befehlsempfänger und Befehlsweiterleiter in einer militärischen Hierarchie. Um „IHN“ geht es aber im speziellen nicht, „ER“ steht eher beispielhaft für die Art, wie Mann im Jahre 2024 den Peinlichkeitslimbo gewinnen wird. Und damit hat „ER“ hat mich dann zu diesem Artikel getriggert. By the way: „ER“ ahnt übrigens nicht, wie gut das ständige Wiederholen des Wortes „Depp“ zu einer 85er Trittfrequenz beim Bergauffahren mit dem Rennrad passt, sich wunderbar mit der Atmung synchronisiert und damit als Hintergrundrhytmus das Nachdenken über diesen Artikel kanalisiert…………

Barbie also, viel wichtiger als „ER“. Achtung, die Erwähnung dieses Films ist der Moment, an dem 90% der Männer über 50 aus den Gesprächen aussteigen, Dich peinlich berührt anschauen, das Wort „Verräter“ im Blick nicht verbergen können und sich fragen, warum mann nicht lieber über dicke Autos im Matsch redet. OK, im Matsch spielen mag ich auch sehr, wenn auch eher mit Bike oder Mopped, aber das können wir später immer noch. Seid Ihr jedoch tapfer, kann ich Euch versprechen, dass Weiterlesen und Nachdenken Euch nicht schaden wird. Ja, Ihr Männer über 50, ich habe den Film zwei mal gesehen und fand ihn auch beim zweiten Mal intelligent, lustig, wahr, unterhaltsam, nachdenklich machend, kurz: relevant. Und Pink ist gar nicht so schlimm, ich habe mich auch daran gewöhnt. Wer trotzdem Trost braucht: es war mal die Farbe der Königssöhne.

Ich mag jetzt nicht darüber reden, warum Männer diesen Film nicht sehen wollen bzw. ihn als männerfeindlichen Mist bezeichnen, auch wenn sie ihn nicht gesehen haben. Das machen andere schon sehr sehr ausführlich in den Foren der Onlinezeitungen, wenn der Film mal wieder besprochen wird oder, wie heute, noch mal in einer Art Jahresrückblicksportrait über die Regisseurin Greta Gerwig und deren Bild des Feminismus erwähnt wird. Stand 2 Stunden nach Onlinegehen: ca. 90 Kommentare, davon mehr als ein Drittel von einem einzigen Mann, der erzählte, wie der Film sei, nämlich männerfeindlich, nur Kommerz, schädlicher Feminismus, sowieso nur von einer Frau gedreht, so in der Art. Und er würde sich diesen Film niemals ansehen und den feministischen Artikel einer Frau, den er ausgiebig kommentiert, hätte er auch nicht gelesen, Überschrift reicht. Boah, das ist zwar peinlich, reicht aber noch nicht zum Fremdschämen, war ja nur einer. Fremdschämen kam in mir auf, als in etwa einem weiteren Drittel aller Kommentare Männer ihm beipflichteten. WTF müsst Ihr Eure Ignoranz, Euer Desinteresse, Eure geringe Lesekompetent und Eure reaktionäre Lebenseinstellung so detailliert und ausgiebig hinausposaunen?

Also, lasst uns lieber darüber reden, warum Ihr den Film sehen solltet. Noch eine Prämisse: im Jahr 2023 sollten wir nicht mehr darüber reden, dass ALLE die gleichen Rechte haben MÜSSEN, unabhängig vom Geschlecht. ALLE das Recht, so gut oder Scheisse zu sein wie ALLE anderen. Und wenn das noch nicht so ist, sollten wir alle dafür sorgen, dass es so wird. Wer das nicht akzeptiert, darf sofort in den Matsch, ein echter Mann sein und bitte dort bleiben. Habt Ihr Partnerinnen? Erwachsene Töchter? Enkelinnen? Habt Ihr alles getan, damit sie sein können, wer sie sind und werden können, was sie wollen? Ok, das hätte ich oft mit ja beantwortet und damit genauso oft daneben gelegen, wie ich heute weiss. Kennt ihr ihre Träume und Phantasien, die sie als Kinder in ihren Spielen hatten? Hmm, schon schwieriger, ich kenne nur meine Jungswelt von früher. Kennt Ihr die unsichtbaren Grenzen und Deckel, an die sie stoßen? Gibt keine, haben ja schon 60 Jahre Gleichberechtigung und Feminismus. Richtig so! Oder? Frauen sind 50% der Bevölkerung und stellen selbstverständlich 50% der Vorstände, 50% der Abgeordneten in den Parlamenten, stellen die Hälfte der Mitarbeitenden in Pflege- und Erziehungsberufen, machen nur 50% der Care-Arbeit in den Familien. Noch Fragen, Euer Ehren?

Und jetzt ein Film, in dem ein Spielzeug nur für Mädchen die Hauptrolle spielt. In dem eine Welt dargestellt wird, wie sie sich von Mädchen erdacht wird, es ist das Spiel von Mädchen abgebildet. Klar, es ist zuckersüss. Und doch, hier werden Mädchen alles, was sie werden wollen. Keine Wände, keine Deckel. In der – und wieder heisst es tapfer sein, die Herren – Männer nur Beach können. Also nur rumstehen und gut aussehen müssen. Ken liebt Barbie und Barbie liebt das Leben eher ohne Ken. Armer Ken, keiner weiss, wo er nachts ist. Weit und breit kein „Protect my Family“ – Mann, wie es in so gut wie jeder neuen Disney – Produktion suggeriert wird. Und die reale Welt im Film mutet doch sehr bekannt an: „Das mit dem Patriarchart habt Ihr ja nicht gut hinbekommen.“ „Oh doch, man merkt es nur nicht mehr gleich so wie früher“. Mutet im Film anachronistisch an, beschreibt aber die Realität ganz gut. 50%? Ganz weit weg!

Der Film ist übrigens ziemlich lustig, die Dialoge echt intelligent. Gute Unterhaltung. Und obwohl ich mich gut unterhalten liess, kam ich ins Nachdenken. Wie denn Phantasie und Wirklichkeit meiner Töchter aussehen. Wie im Film? Schlimmer? Besser? Anders? Und das ist gut, sehr gut sogar. Im besten Fall führt es dazu, sich mit den Partnerinnen, Töchtern oder Enkelinnen darüber auszutauschen. Und zu erkennen, dass es die unsichtbaren Wände und Deckel wirklich immer noch gibt und sie sogar wieder gefestigt werden, in 2024.

Und dann Männer, jetzt noch was gucken, nur für die ganz Harten: The Handmaids Tale. Staffel 1 sollte ausreichen. Eine religiös patriarchalische dystopische Welt, die entstehen kann, wenn die Trumps, Erdogans, Putins, AfD´ler und deutsche Leitkulturler a´la Merz mit religiöser Unterstützung die Macht übernehmen. „Grab them by the pussy“ ist da noch harmlos in Sachen Frauenverachtung. Sind wir weit weg? So so, Putin hat den Rückhalt der Orthodoxen, Trump den der Evangelikalen, Erdogan ist Islamist, die AfD beschwört das christliche Abendland und die CDU führt das katholische „C“ im Namen. Allen gemein ist: die Hälfte der Bevölkerung soll sich nur noch den 4K widmen. Nein, nicht dem scharfen Bild, sonder Kinder, Kirche, Küche, Körper. Und überall wird das Bild vom starken Mann geschürt, besonders in der Unterhaltungsindustrie.

Und wenn Ihr das alles geguckt und in Beziehung gesetzt habt, werdet Ihr zustimmen, dass der Film Barbie relevant ist. Niemand zwingt Euch, ihn gut zu finden. Aber ins Nachdenken wird er Euch bringen.

Und das ist das, was ich mir für 2024 wünsche: lasst uns Nachdenken, miteinander reden und verhindern, dass wir schnurstracks zurück auf dem Weg in das Gesellschaftsmodell der 60er oder noch schlimmer: 30er sind. Und dass ich mich nicht mehr für Geschlechtsgenossen schämen muss, die „mal was sagen“ oder „sich die Hand wegsprengen ist Freiheit“ rufen oder sonstwie ihre Blödheit verkünden. Guckt lieber Barbie.

Ich wünsche Euch einen guten Rutsch.

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