Das letzte Drittel

Dasletztedrittel/ August 1, 2023/ Burnout, Das letzte Drittel/ 0Kommentare

Da stehe ich nun auf dem auf dem grauen Asphalt des stillgelegten Flugplatzes neben meinem jugendlich bedruckten lila Mountain Board, komme nicht vor und nicht zurück. So nach und nach schleicht sich der Unterschied zwischen dem erträumten Dahingleiten mit dem Wind und der schnöden Wirklichkeit des buckligen Weges in mein Bewusstsein und ich nehme die unschöne Realität wahr: Kiten ausgerechnet auf einer harten Oberfläche zu üben kann weh tun. Und dann fühlte ich mich wie Rocky „es kommt darauf an, wie oft Du wieder aufstehst“, stellte mich wieder auf das Brett und fühlte mich ausgesprochen gut, dass es mich im Stand nicht wieder abwarf. Und wie ich da gefangen irgendwo im Niemandsland zwischen Wollen und Können auf der Stelle „surfte“, drängten sich Situationen und Taten in meine Gedanken, die mich genau an diesen Punkt brachten.

Ich werde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in 3 Tagen das 60ste Lebensjahr erreichen. Grössere Natur- und sonstige Katastrophen sind nicht angekündigt, der Eifelvulkan ist ruhig, Godzilla weit weg, die Zombieapokalypse ist abgesagt, unser Haus wirkt stabil, wir leben in einem ruhigen Vorort der Stadt, selbst der BILD fällt nichts ein, was in den nächsten 3 Tagen die Welt auslöschen könnte. So werde ich also 59. Wir verlassen damit die Fussball-Analogie des Lebens – zweite Halbzeit und so- und gehen über zum Eishockey: das dritte Drittel des Lebens wird angepfiffen. Die Eishockey-Analogie trifft es gut. Das Spiel ist schneller als Fussball und das Leben scheint es auch zu werden. Das letzte Drittel also.

Uns Männern sagt man gemeinhin nach, dass wir rund um das seinerzeit biblische Alter von 45 Jahren eine Midlife Crisis haben und uns einen Porsche und 20 jährige Frauen angeln wollten. Oder mussten, wie so mancher Mann in meinem Umkreis unter dem Einfluss des angeblich letzten Aufbäumen seines Testosteronhaushaltes behauptete. Ich wollte keinen Porsche und fragte mich, was man sonst so mit 20-jährigen anfangen sollte und habe die Midlife Crisis ausfallen lassen. Und mit dem Testosteron war alles in Ordnung.

Die Krise kommt später. Schleicht sich an. Tarnt sich. Ich ertappte mich dabei, dass gut Essen gehen am Abend und damit das Aktivieren von Verdauungs- statt Sexualhormonen auch mal reicht. Oder ich öfter oder länger auf Toilette musste – je nachdem, was gerade nicht ging – und damit plötzlich die Bekanntschaft mit meiner Prostata machte, die jahrzehntelang anonym im Hintergrund tat, was Prostatas eben so tun. Also was auch immer, gleich neben der Milz, von der auch keiner so recht weiss, wozu die da ist. Armes vernachlässigtes Ding, ab jetzt hast Du meine volle Aufmerksamkeit, besonders nachts. Ich sass mit Kollegen in der Sauregurkenzeit auf einer Messe und wir unterhielten uns nicht über die netten Hostessen auf Stand xy sonder simpelten fach über Blutdruckmedikamente, was wir übrigens erst nach einer Stunde merkten. Aber nicht so wichtig, ist ja nur vorübergehend, was wir da schlucken müssen. Und die paar Pfunde Übergewicht, ich war ja der fitte Dicke, der fröhlich in den 4. Stock lief, kräftig in die Pedale meines Speedpedelecs treten konnte und eine gute Puste hatte. So lange mich meine Ärztin noch siezte, war alles in Ordnung. Und alles, was die gute Laune trübt und die Fitness beeinträchtig, geht ja wieder weg.

Tut es nicht. Ende 2022/ Anfang 2023, in den besten 58ern, kumulierten die – ich muss es so ausdrücken – Gebrechen und Probleme. Es liess sich nicht mehr ignorieren. Im Job sass ich wie paralysiert vor meinem Bildschirm, hohl und leer, mit Tränen der Erschöpfung in den Augen. Meine Ärztin bot mir fast das Du an und präsentierte mir die Ergebnisse der Untersuchungen meiner Körperflüssigkeiten: viel zu viel Zucker im Blut, Blut im Urin. Diagnose Diabetes und Überweisung zum Urologen. Der meinte mit schlecht gespielter Anteilnahme dazu: Entzündung oder Tumor. Entzündung war es nicht. Der Tumorverdacht schwebte dann drei Monate über mir, so lange musste ich auf den Abklärungstermin im Krankenhaus warten. Eine Woche vorher hatte ich dann doch noch Corona eingefangen. Der Tumorverdacht ging in die Verlängerung, die Depression wurde mit eingewechselt, ich war bedient. Auch wenn sich der Tumor als harmloser Zellhaufen herausstellte, ein „Weiter So!“ würde aus der Krise einen Dauerzustand machen. Das dritte Drittel beginnt also mit großen Veränderungen: Gesundheit, Job und am wichtigsten, der Reise zu mir selbst. Es wird alles in Frage stellen.

Die beste Lebenspartnerin von Allen – dank an Ephraim Kishon für diesen Ausdruck – meinte, dass es zu wenige Männer gibt, die ehrlich darüber berichten. Ich mag Kolumnen und Kurzgeschichten, ein Blog ist ideal dazu. Ich werde über mich und meine Sicht der Dinge in der Welt schreiben, eine Geschichte wird zur anderen führen. Hier sind meine Geschichten.

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