Minus 16

Dasletztedrittel/ September 7, 2023/ Sport, Therapie, Veränderungen/ 0Kommentare

Diabetes ist eine Sch…… -Wahrheit. Die will ich nicht hören. Doch! Durch meine Lebensweise ist der Zuckerstoffwechsel völlig aus dem Ruder gelaufen. Ich bin müde und schlapp, also sagt mein Urzeitvieh in mir: rein mit den Gummibärchen und der Nervennahrung, auch, wenn es mein alter Body mit seinen Fettreserven im Speckmantel nicht braucht. Die Bauchspeicheldrüse wird durch den überhöhten Zuckerkonsum unaufhörlich angeregt, Insulin zu produzieren, damit die Muskeln und sonstige Zellen den Zucker aufnehmen können. Die brauchen den aber gar nicht mehr und schwenken die weisse Fahne, man spricht von Insulinresistenz. Bis auf mein Urzeithirn, das schreit durch die alten Gewohnheiten ständig nach Nachschub, braucht aber gar nicht so viel. Also wandelt der Körper den Zucker in Fett um und speichert für schlechte Zeiten. War nicht bei mir nicht zu übersehen, das mit dem „tank for a sex machine“ war übrigens gelogen. Umwandeln in zukünftigen Treibstoff klappt auch nur bedingt, der nicht umgewandelte Rest des Zuckers schwappte im Blut durch meinen Körper. Als winzig kleine Zuckerkristalle. Der Körper will die wieder loswerden. Und das macht irgendwie müde und schlapp, die genauen Zusammenhänge kenne ich auch nicht. Fest steht aber, auf Dauer verstopfen die Zuckerkristalle die kleinen Blutgefässe. Überall, auch in der Birne.

Und wenn die wieder glaubt zu verhungern, weil sie dadurch wieder so richtig müde und schlapp wird, was macht dann mein Urzeitvieh wieder mit mir? Richtig, Hirn an Hände: Zucker nachschieben! Das tat ich, der Blutzucker schiesst schnell nach oben, dann wieder nach unten, das macht müde und schlapp und weckt wieder den Urinstinkt. Half ja mal beim Überleben der Menschheit. Bewirkt heute eher das Gegenteil.

Mein Urzeitvieh in mir hat noch eine andere „Gemeinheit“ parat: die Energie in Form von Fett will es nicht wieder hergeben. Statt dies zu verbrauchen will es lieber neuen Nachschub. Es kommen ja schlechte Zeiten……… . Und wenn es keinen Nachschub gibt, geht der Körper auf Sparflamme. Das heisst wieder: wird müde und schlapp und erst recht hungrig. Nichts nachschieben ist also auch keine Option.

Zu meinem Glück hat sich die beste Lebensgefährtin von allen schon lange mit dem Thema beschäftigt, unzählige Folgen und Podcasts der Ernährungsdocs geschaut und gehört, Bücher gewälzt, Rezepte nachgekocht und kreiert- sie ist eine fantastische Köchin – und hatte Erfolg! Der fitte Dicke hat das lange belächelt, und jetzt wurde sie meine erste und wichtigste Expertin.

Weg Nummer 1, um von Diabetes und allen Folgen wieder weg zu kommen: Ernährung umstellen und ABNEHMEN! Weg mit dem Speckmantel!

Auf Spotify und YouTube gibt es viele gute Tipps zum Thema Diabetes und Ernährung, auch die, die milde mit mir Zuckerjunkie und Speckmantelträger umgingen. Wenn ich nämlich so einem Menschen, Typ „Triathlon mit 60 in unter 8 Stunden“ zusehe oder zuhöre, der mir zuerst meine Lebensweise auf den Kopf zusagt, dann eine nicht zu lange, aber bedeutungsvolle Pause macht, mir über die Kamera direkt in die Augen schaut und mir dann erzählt, was ich für mein Überleben tun muss, dann habe ich mit dem Verinnerlichen der Tipps so meine Probleme. Auch, wenn ich es intellektuell durchaus erfasst habe, meine Psyche wähnt sich dann wieder in die Zeiten zurückversetzt, als ich mit einer 5 in Deutsch nach Hause kam. In Deutsch!

Da gab es aber noch den Arzt, der meine Welt beschrieb: er war der fitte Dicke, der auf dem Rennrad die Berge hochfuhr. Ein oder auch zwei Gläser Wein oder Bier gehör(t)en zu seinem Savoir Vivre, ebenso gut Essen und Trinken, und an Italien mag er besonders gerne die Küche. Da wollte er nix dran ändern und seine Diabetes Diagnose hat er so lange schön gegessen und getrunken, bis er mal seine Lebenserwartung errechnen liess. Und er redete auch über die Psyche, die durch die abnahmebedingten körperlichen Veränderungen nicht ganz unbelastet bleibt und was ihm echt zu schaffen machte: „Du wirst weniger Mann sein!“ . „Häh, wieso das?“ fragte ich ihn virtuell in meinem Laptop. Und dann kam etwas, was ich heute, 6 Monate später und 16 kg weniger, selbst verspüre. Sinngemäss erzählte er mir: „der Speckmantel macht Dich mächtig. Wenn Du einen Raum betrittst, füllst Du ihn im wahrsten Sinne des Wortes mit Deiner körperlichen Präsenz. Wenn Du fit und gesund aussiehst, zeigst Du allen, dass Du Dir Deinen Lebenswandel auch leisten kannst. Und es ist tatsächlich auch ein Panzer. Du bist ein Mann, der allen äusseren Widrigkeiten widersteht, die dicke Eiche im Wind. Wenn Du abnimmst, der Panzer weg ist, Deine Präsenz im Raum nur eine von vielen ähnlichen ist, Du Deine Knochen siehst und spürst und Du Dich dadurch verletzlicher fühlst, dann bist Du einfach weniger Mann. Damit musst Du erst mal klar kommen“. Dann nahm er einen Schluck Olivenöl – „das gibt gute Energie und geht schön am Insulinspiegel vorbei“ – und meinte, er freue sich auf sein Glas Rotwein heute Abend.

Und dann kam Weg, bzw. Wahrheit Nummer 2: ganz ohne Medikamente geht es am Anfang nicht. Meine Ärztin hat mir Metformin verschrieben, doch ich haderte noch damit. Also noch mal gesondert mit dem Thema beschäftigen. Metformin gibt es schon lange, ist gut verträglich. Also nach ein paar Wochen, bis dahin kann es zu echt üblen Verdauungsproblemen führen. Ein Tag Durchfall, dann 3 Tage Verstopfung, dann Krämpfe, oder umgekehrt oder alles zusammen. Klingt verheissungsvoll. Auf der Habenseite steht, dass das Zeugs die Muskeln anregt, wieder insulingenerierten Zucker zu verarbeiten, das falsche Hungergefühl dämpft und dazu führt, dass überschüssiger Zucker über den Darm wieder ausgeschieden werden kann sowie auf kurz oder lang das Biom im Darm umbaut, damit das mit dem Zuckerausscheiden auch klappt. Es hilft damit beim Abnehmen. Und als Nebenwirkung soll es gegen Krebs schützen. Also rein damit. Und wirklich, es ist echt guter Stoff!

Sooo: Ernährungsumstellung plus Metformin ist die Strategie.

Und plötzlich waren sogar die Managementseminare zu was gut. Das Paretoprinzip – mit 20% Aufwand 80% Ergebnis erreichen – funktioniert auch bei der Ernährung. Vom Ernährungsdoc kam der Tipp, die schlechten Essgewohnheiten zu erkennen, zu bewerten und zu gewichten. Also über das Snacken, den Alkoholkonsum, den Zuckergehalt der normalen Lebensmittel und Getränke, den Süssigkeitenkonsum, das gedankenlose „Nebenbeireinschieben bis zum Abwinken“, die Zusammenstellung der Hauptmahlzeiten sowie die dazugehörigen Situationen nachzudenken und zu bewerten. Und dann die schlimmsten 20% sofort weglassen. Das wäre schon mal das Wirkungsvollste, was man machen könnte, um die Diabetes einzudämmen und das Spritzen von Insulin zu verhindern.

Ich identifizierte das stressbedingte Snacken, die dazugehörigen Süssigkeiten, meine Abendbiere und meine Liebe zu Pasta als Sofortmassnahme des Weglassens, das war schon mal ein guter Anfang. Aber das war mir nicht genug, ich wollte ja von der Diabetes weg. Und hier kommt die beste. Lebensgefährtin von allen ins Spiel, aus dem „ich“ wird ein „wir“.

Anfangs liessen wir zu jeglichem Zucker alle weiteren offensichtlichen Kohlehydrate weg: keine Kartoffeln, kein Reis, keine Nudeln, keine Mehlprodukte, kein Brot, wenig süsses Obst, wenig stärkehaltiges Gemüse. Dafür viel Gemüse, Gemüse und Gemüse, roh, gekocht, geschnitten, am Stück. Dazu Fleisch, mehr als normal. Und Milchprodukte gehen auch. Wichtig auch: Pausen zwischen den Mahlzeiten machen, mindestens 5 Stunden. Jegliches Snacken ist tabu, das gilt auch für einen Caffee Latte zwischendurch. Milchzucker! Das geht in Richtung Intervallfasten, aber diese Wissenschaft will ich jetzt nicht aufmachen. Wir probierten einige Varianten aus, bis ich für mich merkte, dass ich etwas verbissen darin wurde.

Erste Erkenntnis: es tut gut, mal wieder richtigen Hunger zu spüren. Zweite: ich mag die meisten Gemüsesorten immer noch nicht, doch der Hunger treibts rein. Dritte: wir mussten Abstriche bei der Nachhaltigkeit des Essens machen. Bio geht, regional-saisonal nicht immer und der Konsum tierischer Produkte steigt dann doch. Vierte: Einkaufen dauert länger und wer die Lesebrille vergessen hat, ist im Supermarkt verloren. Den Zuckergehalt auf den Packungen zu identifizieren, kann Lebensaufgabe werden. Das Gute ist: es erhöht auf Dauer die Frustrationstoleranz. Fünfte: am Anfang schwächt der Zuckerverzicht den Körper. Er muss nämlich wieder für seine Energie arbeiten und will das erst mal nicht. Sechste: das Umfeld ist etwas irritiert. So eine Ernährungsumstellung passt in keine Schublade. Vegan, low-carb, Paleo und was sonst noch so als Schlagwort rumgeistert. Mit „einfach mal Zucker und möglichst Kohlehydrate weglassen“ sind viele Menschen seltsamerweise überfordert. Besonders in Restaurants. Siebte: Zucker kleistert wirklich alles zu. Nach 30 Tagen hatten Lebensmittel wieder den ursprünglichen Geschmack. Und die achte und wichtigste Erkenntnis: es funktioniert, der Speckmantel schrumpft!

Als Belohnung und zur weiteren Motivation fuhren wir nach Italien. Das Land der Pasta, des gerösteten Weissbrotes, des Caffee Latte, des Tiramisu, des echten Eises und süffigen Weines. Die Tage waren wunderschön, wir genossen den vorgezogenen Frühling am Lago d´Orta, die schöne Gegend und das wundervolle Restaurant, was ironischerweise „Pan e Vino“ hiess. Der Blick des Kellner changierte zwischen Mitleid und kopfschüttelndem Verständnis, als wir unser mitgebrachtes Vollkornbrot zur Spezialität des Hause, der Il Tagliere Piemontese, auspackten.

Es war sowieso ein Charaktertest, denn ich hatte echte Anpassungsschwierigkeiten. Das Intervallfasten mit Verzicht auf Frühstück klappte zwar zu Hause, aber nicht unterwegs. Ab 11:00 Uhr hatte ich morgens echt schlechte Laune. Auch machte es absolut keinen Sinn, sich in ein Café am See zu setzen und Tee zu trinken. In Italien! Tee! Die können das nicht! An Eisdielen vorbeizugehen, ist auch kein Spass. Dann kam die Angst vorm Verhungern. Auf den Speisen der Restaurants sah ich nur Kohlehydrate. Und an meinem geistigen Auge zogen alle Pastas, Pizzen und Süßspeisen vorbei, die ich je hatte und die die Leichtigkeit des Seins in Italien ausmachten. Innerlich weinte ich bittere Tränen, äusserlich brach sich die Wut bahn. Zum Glück war die beste Lebensgefährtin von allen fastenerfahrener und rationaler und suchte ein Restaurant mit lecker Essen aus. Sie sah nämlich den guten Fisch mit Gemüse, was ich mag. Das war knapp und ich sah ein, mein Intervallfasten pragmatischer Anzugehen, das heisst, damit aufzuhören. Nur die Essenspausen und das Nicht-Snacken einzuhalten. Danach wurden es noch wunderschöne Tage am Lago. Statt Vino kreierten sie im „Pan e Vino“ einen tollen alkoholfreien Cocktail aus Tomatensaft und unsere Tailiere Piemontese schmeckte auch mit Vollkornbrot als Pan sehr gut. Das leichte Leben hatte uns wieder, was sich in den nächsten Monaten echt so hielt.

Die Ernährungsumstellung währt nun fast ein halbes Jahr. Inzwischen ist auch mal ein Caffee Latte zwischendurch drin oder auch mal ein Croissant am Morgen. Mein Körper hat sich daran gewöhnt, seine Energie überwiegend aus Fett und Eiweiß zu holen. Ich bin tatsächlich weniger Mann, dafür wohl männlicher, wenn ich die Reaktionen des Umfelds richtig deute. Der Langzeitzucker ist unter den Schwellenwert für Diabetes gefallen, das Metformin hat quasi seine Schuldigkeit getan und kann langsam gehen. Ich bin wacher und sportlich leistungsfähiger. Ich spüre meine Knochen, kann die Knie beim Schlafen nicht mehr aufeinander legen. Der Bauchspeck drückt nicht mehr auf Blase und Prostata, ich muss seltener Pinkeln. Ich mag Blumenkohl! Nix passt mehr, meine Hemden, die mir vorher normal vorkamen, sind in meinen Augen Zirkuszelte. Die Angst, jemals Insulin spritzen zu müssen, ist weg. Und die Angst vor Siechtum ist ganz im Hintergrund. So langsam kommt auch die Psyche dem guten Körpergefühl hinterher.

Ich habe 16 Kilo weniger.

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