Quäl´ Dich, Du Sau

Dasletztedrittel/ September 11, 2023/ Sport/ 0Kommentare

Diese inzwischen wahrscheinlich im Duden stehenden Worte richtete in den Vogesen während der Tour de France Udo Bölts an seinen Teamkollegen Jan Ulrich, dem drohte, das gelbe Trikot zu verlieren. Jan Ulrich war völlig fertig, der Tank war leer, das was das, was man einen Hungerast nennt. Er hatte wohl vergessen, Kohlehydrate zu sich nehmen, den Treibstoff für hoch belastete Muskeln. Die äusserst freundliche Motivationshilfe durch den Teamkollegen half ihm dann, das gelbe Trikot zu behalten. Der Rest ist Radsportgeschichte und mündet in einer der schwärzesten, aber auch traurigsten Begebenheiten in der leider dazu gehörenden Geschichte des Sportdopings. Dass ein deutscher Sponsor eines Radteams Jahre später mit dem Slogan „Doping für die Haare“ warb, ist wieder so ein Treppenwitz, den man sich in seiner kühnsten Fantasie nach 3 Gläsern Rotwein nicht ausmalen hätte können.

Seitdem ich die Ernährung umgestellt hatte, weiss ich auch, was ein Hungerast ist. Allerdings nicht heroisch in den Vogesen als Führender eines Radrennens sonder ganz profan im 2. Stock des Treppenhauses in unserem Hochhaus. Ist nicht ganz so gut für´s Ego, dann vom 2. in den 4. Stock den Aufzug zu nehmen. Da waren sie wieder, die Urzeitgene. Zucker = Energie = Treppe wie ein junger Gott hochfliegen. Als hätte jemand einen Stecker gezogen, die Muskeln fuhren einfach runter auf Standby. Das half jetzt nicht gerade für die ärztliche Anweisung “ viel Bewegen!“. Meine Hausärztin würde von mir nach dem Duzen ab jetzt wahrscheinlich Umlagen fürs temporäre Wohnen in ihrer Praxis einfordern.

Das ist aber doof, ein echter Zielkonflikt, wie mein managementgestählter Geist mir höhnisch zuflüsterte. Und der Körper nickte eifrig und präsentierte dem Geist eine einfache Lösung: „iss`was Ordentliches, mit ordentlich Zucker drin! So´n Croissant, Kuchen, etwas Eis und dann runterspülen mit ´nem schönen gesüssten Earl Grey. Mit Milch“. Hättet Ihr wohl gerne, gibt’s nicht. Gibt weiterhin Eiweiss und Fett aus Gemüse, Hülsenfrüchten, Käse und Fleisch, sonst nix. Verdient Euch Eure Energie! „OK, dann halt weiter Streik“, meinte der Körper in Einklang mit dem Geist. So blieb ich also eine Weile lang schlapp und leicht verwirrt. Und nahm den Aufzug.

Nach einiger Zeit kam die Evolution um die Ecke und redete meinen Begleitern ins Gewissen. „Selbstzerstörung is´nich´, Ihr müsst Euch was anderes einfallen lassen, schliesslich geht es um den Erhalt der Art, Survival of the fittest und so, passt Euch also gefälligst an! Und noch ein Tipp: wozu habe ich Euch denn die vielen Reserven anlegen lassen? Sooo schön ist der Mantel nun auch nicht, Ritter Speck!“

Oh ha, das sass aber. Und jetzt begann ich es tatsächlich zu spüren. Die tägliche Spazierrunde wurde leichter, dann konnte ich sie immer weiter ausdehnen. Der 4. Stock wurde vom täglichen Mount Everest zum Valkenberg, der höchsten Erhebung Hollands. Körper und Geist holten sich Ihre Energie aus dem, was sie bekamen und wenn das nicht reichte, aus den Reserven. Ich begann, abzunehmen und wurde wieder wacher und motivierter. Ganz ohne Doping wollten die Beiden aber dann doch nicht. Habe ich schon beschrieben, dass Metformin ein geiler Stoff ist?

Doc Riedel von den Ernährungsdocs hat sich wohl mit meiner Hausärztin und der besten Lebensgefährtin von Allen abgesprochen und mir befohlen, ins Fitnessstudio zu gehen. Denn der Körper baut alles ab, wirklich alles, um es in Zuckerenergie umzuwandeln, nicht nur Fett. Muskelerhalt würde völlig reichen, Sylvester, Arnie und Ralf müssten nicht unbedingt Vorbild sein. Fitnessstudio: testosterongeschwängerte Luft, Schweissgeruch, Frauen in hautengen Klamotten, die sich elegant bewegen, alle Menschen dort rank, schlank, muskulös, beweglich. Dazwischen arme Gestalten: plump, dick, schwitzend. Bald wäre ich einer von ihnen. Und die Trainer: junge Leute, die mich anschauen und denen sich mein Anblick für immer als Negativbeispiel auf ihrer Festplatte abgespeichert hat. Geht doch nichts über Klischees. Und das Klischee lebt!

Oder nicht! Ich bin nicht alleine hin. Ich war ein leuchtendes Vorbild für die beste Lebensgefährtin von allen und motivierte sie im Stile eines personal Coaches, sich in meinem Windschatten ins Fitnessstudio zu begeben, um sich fortan mit den dortigen Leibesübungen zu stählen. Kann auch sein, dass es umgekehrt war. Dieser Eindruck könnte entstehen, wenn sie gefragt wird, warum wir zusammen hin sind. Wie dem auch sei. In unserer Nähe gibt es zwei Studios, wir dabbelten also hin. Es war richtig nett: hell, gute Luft, ganz normale Leute, die einfach ihr Ding machten und vor allem: die jungen Trainer nahmen sich richtig Zeit, uns herumzuführen. Da die Studios vergleichbar waren, traf jeder für sich die Entscheidung je nach Nähe zur Arbeitsstelle, deshalb landeten wir nicht im gleichen Studio. Beide Studios gehören zu Ketten, die in beiden Städten Filialen haben. Ist auch ganz gut so, denn Eleganz, Grazie und gutes Aussehen waren nun nicht gerade die Eigenschaften, die mein Speckmantel in Bewegung zeigte. Der Blick in den Spiegel verstörte schon ein wenig und überliess das Bild vom fitten Dicken nur noch der Fantasie. Ein bisschen eitel bin ich schon.

Der Trainer, der mit mir meinen Trainingsplan erstellte, ist Profi durch und durch. Ich werde nicht der Erste und Letzte gewesen sein, der in diesem gefühlten und äusserlich sichtbaren Zustand zu ihm kam und noch kommen wird. Lebensweisen wie meine sorgen da schon für ordentlich Nachschub. Er zuckte noch nicht mal, als er Gewichte in der Größenordnung für junge Damen auflegte und sagte dann den beruhigendsten aller Sätze: „Du sollst hier keine Muskelberge bekommen. Wenig Gewicht, viele Wiederholungen führen in Deinem Fall zum Erfolg, versprochen!“ Und ich sagte mir: „vergiss´ endlich die ewige Challenge in Deiner Generation, die ihren jährlichen sportlichen Höhepunkt in den Bundesjugendspielen hatte! Hier bist Du endlich mal nur einer von Vielen!“.

So dann, toller Trainer, nettes Studio, genau die richtigen Übungen. Ich ging und gehe noch gerne und wenn nicht gerade hochsommerliche Temperaturen sind, gerne hin. Es hilft tatsächlich beim Abnehmen und die Muskeln bleiben einigermassen kräftig. Inzwischen kann ich ein Gewicht mehr auflegen und bei Übungen, die das Körpergewicht mitbewegen, 16 kg Speck durch 16 kg Eisen ersetzen. Die Sau muss sich gar nicht so quälen.

Aber das sind alles nur Nebenbühnen. Auf den Brettern des Lebens führe ich gerade die Hauptaufführung über die sich quälende Sau auf: Rennrad fahren ist eine eigene Geschichte.

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