Der Tod – Momento moriendum esse
Bedenke, dass Du sterben wirst! Stellt Euch vor: da kommt Ihr also siegreich von der Schlacht nach Hause, lasst die prächtigsten Pferde vor den Wagen spannen, der Weg führt durch die jubelnden Massen durch den in weiser Voraussicht für Euch erbauten Triumphbogen. Und dann stellt irgendein Miesepeter einen Sklaven hinter Euch auf den Wagen, der Euch einflüstert: „Momentum moriendum esse – bedenke, dass Du sterblich bist“. Natürlich habt Ihr in den meisten Fällen den Sklave als ersten daran erinnert………
Man meinte halt, es sei ein guter Weg, Euch davon abzuhalten übermütig zu werden und sich unsterblich zu fühlen. Hat nicht immer funktioniert, nicht alle haben richtig hingehört. Später in der Geschichte gab es durch die Kirche einen zweiten Anlauf, das geflügelte Wort wurde zu „Moment mori“, dem Gedanken, zu sterben.
Ich denke, das wurde und wird noch in verschiedenen Bedeutungen genutzt. Zum einen als Aufforderung zur Demut und dem Bewusstsein der eigenen begrenzten Zeit im Sinne von: „nutze die Zeit (Gutes zu tun)!“. Oder aber auch von oben herab im Sinne des Machterhalts: „egal, was Du tust, die Dinge bleiben sowieso, wie sie sind“!. Oder aber auch „nach mir die Sintflut“. Auch alles nur Sprichwörter?
Sich dem Thema Tod zu nähern, empfinde ich zunächst ganz leicht. Es ist die einzige unumstössliche Gewissheit, die ich habe: ich werde sterben. Von der ersten Minute meines Lebens an. Was und ob etwas danach kommt, weiss niemand. Ist doch alles ganz einfach, oder? Und da das ausnahmslos für alle Lebewesen auf der Erde gilt, könnten doch alle danach leben: die Zeit bis zum Tod möglichst gut, sozialverträglich und ressourcenschonend verbringen, vielleicht noch den Erhalt der Art sichern, dann abtreten, kurz betrauern lassen – Ihr erinnert Euch, grundlegendes menschliches Gefühl – und wieder in die Ressourcen der Erde eingehen.
Aber in mir drin nimmt ein Drama seinen Lauf: mein Dasein soll gefälligst Sinn machen. Und bevor welcher Sinn auch immer nicht erfüllt ist, kann und darf ich nicht sterben. Na ja, dann kann ich einfach leben und nicht sterben, bis sich der Sinn meldet. Und wenn ich dann weg bin, wird den Trauernden schon einfallen, welchen Sinn mein Leben hatte. Warum also über den Tod nachdenken? Lebe! Dabei hilft die Medizin, der Fortschritt, der Wohlstand, all die kleinen und grossen Annehmlichkeiten.
Und Nachts ist es ganz anders, um mal einen Film zu zitieren. Was soll das alles? Was ist gut, was ist schlecht? Was kommt? Was bleibt? Wie bleibe ich in Erinnerung? Was konnte ich den Kindern weiter geben? Und vor Allem: werde ich zufrieden in die ewigen Jagdgründe eingehen?
Keine Antworten, also wird Momento Mori immer weiter verdrängt. „Man“ redet nicht über den Tod – also, nicht über den eigenen, über den der anderen schon – und ich habe schon manche Ü80er kennen gelernt, denen der Tod völlig ungelegen kommen würde, sie hätten ja noch so viel vor. Sterben kann man schon ziemlich persönlich nehmen.
Im letzten Drittel stellt sich bei mir jetzt oft das Gefühl ein, mir würde die Zeit davon rennen. Die Zeit bis zum Tod scheint immer kürzer. Werde ich durchschnittlich alt, sind es noch 19 Jahre. 19 mal Frühling, 19 mal Sommer und Herbst und Winter sind eh trüb. Noch gemeiner klingt das in Tagen: knapp 7000 Tage, davon über 3000 bei höchstwahrscheinlich schlechtem Wetter und Dunkelheit ab 17:00 Uhr. Also schnell schnell, Sinn suchen und finden, Fragen beantworten ,die Big Five for Live formulieren, etwas für die Nachwelt erarbeiten, fit werden, gut werden, gib’ alles! Der Buchmarkt, der Coachingmarkt, die sozialen Medien haben Millionen Tipps und schlaue Gedanken. Und ist der Algorithmus mal geweckt, kommst Du nicht mehr so schnell raus. Da ich noch nicht ganz über Erwartungsdruck und ähnliches hinweg bin, bin ich noch empfänglich für alles Mögliche. Und alle diese Gedanken führen schon mal zu nichts ausser Angst, Bedauern und schlechter Laune.
Also Handy, Notebook, Tablet oder eBookreader zur Seite legen und erst mal aufs Rad. Mal in den Flow kommen, der entsteht, wenn bei gleichmässigem Rhythmus die Muskeln mehr Sauerstoff als das Hirn bekommen und das Hirn die überflüssigen Gedanken weglegen muss. Und da eine Strava Mitgliedschaft auch bei älteren Menschen wie mir immer dazu anregt, über die körperlichen Grenzen hinaus zu gehen, hat mein Hirn wahrscheinlich Todesangst und ist heilfroh, dass es doch noch weiter geht und freundet sich mit dem Tod an. So stelle ich mir das vor: wenn der Körper mal so richtig ( über-) fordert ist, habe ich keine Angst davor, abzutreten. Und kann meine Sinngedanken sortieren.
Zukunft planen, Texte formulieren oder ähnliches funktioniert bei auf dem Rad nicht ganz so gut ( dafür ist die Sauna da ), aber dafür, ab und zu das erste und das mittlere Lebensdrittel bildhaft an sich vorbei ziehen zu lassen, ist es ganz hilfreich. Im Prinzip denke ich dabei oft in Highlights. Und das sind viele, mehr, als ich spontan auf Aufforderung nennen könnte. Und es sind gute dabei. Mir gibt das Frieden, besonders dann, wenn ich mich vorher etwas leer fühle. Und fast immer finde ich dann einen Punkt, an dem ich wieder ansetzen kann: eine Geschäftsidee verbessert aufsetzten, mit der Familie reden, etwas reparieren und verbessern, Überschriften für Texte verfassen, eine Sprache lernen wollen und so weiter. Vor allem: auf Chancen achten, die ich früher übersehen habe. Und dann kommt bestimmt etwas, was FÜR MICH Sinn macht. Vielleicht verbessert das dann nicht die Welt – darunter tat ich es oft nicht – , aber seien wir doch mal ehrlich: bei allen Dingen, die uns um herum geschehen, ist es schon ein Erfolg, wenn auf dem Grabstein steht:
„Wenigstens hat er nix kaputt gemacht…..“